Rezension: Ein Sommer am See


Wir stecken zwar gerade in der Winterzeit, doch für einen Comic, der im Sommer spielt, ist es nie zu spät! Ein Sommer am See von Jillian Tamaki und Mariko Tamaki erzählt die Geschichte von Rose und ihrer Familie, die jeden Sommer gemeinsam in einem Haus am See Ferien machen. Wie mir der Comic über das Erwachsenwerden gefallen hat, erfahrt ihr heute in meiner Rezension.





Als in diesem Jahr wieder die Ferien anstehen, hat sich für Rose einiges verändert. Eigentlich hat sie die sommerliche Zeit im Haus am See immer genossen, doch die Streitereien ihrer Eltern machen es ihr nicht gerade leicht, die freien Tage zu genießen. Rose hat eine Ahnung, was zwischen ihren Eltern steht. Auch zu ihrer Freundin Windy scheint sie nicht mehr so einen guten Draht zu haben: während Windy am Strand spielen und herumalbern möchte, wendet sich Rose lieber den älteren Jugendlichen zu. Sie steht zwischen ihrem Dasein als Kind und dem Erwachsenwerden.



Das erste Mal bin ich mit dem Comic durch den Max und Moritz-Preis beim diesjährigen Comic-Salon Erlangen in Berührung gekommen. Ein Sommer am See von Jillian Tamaki und Mariko Tamaki wurde als bester internationaler Comic ausgezeichnet und weckte durch die diverse Thematik direkt mein Interesse.

Ich konnte gar nicht anders – in einem Zug habe ich den über 300 Seiten starken Titel gelesen. Das lag nicht nur an den spannenden im Comic angesprochenen Themen, sondern auch an der Aufmachung. Man begegnet vielen beeindruckenden Einzelseiten, die wahnsinnig detailreich gezeichnet sind. Ob es sich dabei nun um Waldkulissen handelt oder um Rose, die auf ihrem Bett lümmelt: Jillian Tamaki begeistert mit großen Aufmachungen.
Der Comic ist schwarz-weiß, oder vielmehr blauschwarz-weiß gehalten. Ich empfand die fehlende Farbe jedoch keineswegs als störend, sondern eher als hilfreich, um die Geschichte intensiv zu erzählen. Neben den größeren Einzelseiten besticht der Comic mit einer Schlichtheit an Panels und wirkt daher nie aufdringlich oder überlaufen. Das gilt auch für die Sprechblasen und den allgemeinen Texteinsatz, wodurch die Atmosphäre, die beim Lesen entsteht, unterstützt wird.

Mariko Tamaki erzählt eine packende Geschichte rund um das Erwachsenwerden. Es fiel mir von Anfang an leicht, mich mit Rose zu identifizieren. Sie steht für das, was jeder einmal durchmacht, wenn man zwischen den Grenzen der Kindheit und des Erwachsenenlebens steht. Rose ist noch unerfahren und tauscht sich daher mit ihrer – ebenso unerfahrenen – Freundin Windy aus, um dem Erwachsenendasein auf die Sprünge zu kommen.
Das zeigt sich vor allem durch ihre Gespräche über Sexualität. Rose und Windy schnappen eine Unterhaltung zwischen älteren Jugendlichen über Oralsex auf und fragen sich sogleich, was das eigentlich bedeutet. Aufklärung ist ein relevanter Aspekt, der immer wieder in der Erzählung auftaucht. So wird durch die Eltern kaum Aufklärung betrieben, sondern findet diese eher im Schulunterricht statt. Eine Heranführung an die Sexualität ist kaum gegeben, sodass sich Windy und Rose ganz natürlich gegenseitig befragen.
Auf diese Weise ist auch Schwangerschaft ein wunder Punkt: Ein Sommer am See legt dar, wie es ist, schwanger zu sein und das Kind nicht zu wollen. Auf der anderen Seite wird aber auch behandelt, was in jemandem vorgehen kann, der Kinder kriegen will, jedoch nicht kriegen kann. Dass dadurch nicht nur die Frau betroffen ist, sondern auch ein ganzes Umfeld daran leiden kann, wird stark herausgestellt.

Es wird deutlich, dass nicht nur der Körper im zentralen Mittelpunkt der Geschichte steht, sondern auch der Übergang vom Kind zur Frau. Rose und Windy spielen das Mash-Spiel, bei dem schlussendlich nur Merkmale einer Person herausgestellt werden, wie beispielsweise welche Art von Haus oder Wohnung zu in der Zukunft beziehen oder wie viele Kinder sie mit welchem Mann bekommen. Windy kommt das Spiel schlussendlich merkwürdig vor, weil die Frage nach dem zukünftigen Beruf gänzlich ausbleibt. Mir gefiel es gut, dass Windy genau diesen Aspekt hinterfragt, wo der Job doch ein wichtiger Lebensabschnitt darstellt.
Rose beobachtet nicht nur viel, sondern auch intensiv die älteren Teenager am See. Sie stellt immer mehr fest, dass sie eigentlich kein Kind mehr ist, allerdings noch nicht zu den Jugendlichen oder gar Erwachsenen gehört. Sie wird von den Älteren ausgeschlossen und versucht sich einen Zugang zu ihrer Welt zu schaffen, indem sie mit ihrer Freundin beispielsweise Horrorfilme ab 18 ausleiht, auch wenn ihr nicht immer wohl dabei ist.

Ich war begeistert davon, dass nicht nur die sozialen Probleme von Rose angesprochen werden, sondern auch aufgezeigt wird, wie ihre Eltern an ihren persönlichen Krisen zu knabbern haben. So stehen Eheschwierigkeiten und der Umgang mit Adoption im Fokus.



Ich war rundum begeistert von der Geschichte und wurde nicht enttäuscht. Gerade die großen Illustrationen auf einer Doppelseite ließen mich staunen und konnten mich beeindrucken. Mir hat es gut gefallen, dass man sich selbst ein wenig in Rose sehen konnte, die ganz ungeniert und doch mit einem großen Fragezeichen über dem Kopf schwebend über Sexualität und Erwachsenwerden spricht. Das Tempo und die Erzähldynamik waren durchweg gelungen, sodass ich den Comic in einem Zug verschlungen habe, was immer ein gutes Zeichen ist, dass eine Erzählung begeistert. Ich vergebe daher für Ein Sommer am See von Jillian Tamaki und Mariko Tamaki fünf von fünf Lesebrillen!







Titel: Ein Sommer am See
Von: Jillian Tamaki, Mariko Tamaki
Übersetzung: Tina Hohl
ISBN: 978-3-95640-025-4
Verlag: Reprodukt
Preis: 29,00€
Sonstiges:  320 Seiten, Klappenbroschur


Die genannten Details sind der Website von Reprodukt entnommen.

Vielen Dank an Reprodukt für das Leseexemplar!



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